Halsband oder Geschirr

Zu diesem Thema möchte ich auch gern meine eigene Erfahrung einbringen. Denn ich habe in den vergangenen 24 Jahren Hundehaltung und in den letzten Jahren als Trainerin so ziemlich viel ausprobiert, um meinen Hunden eine vernünftige Leinenführung  beizubringen. In den 90er Jahren waren sogar noch Stachelhalsbänder üblich in den Hundeschulen. Zum Glück sind diese schlimmen und unnötigen Hilfsmittel gesetzlich verboten. Alles was dem Hund Leid oder Schmerzen zufügen könnte, ist glücklicherweise verboten. Viel wichtiger als die richtigen Hilfsmittel ist die Frage, mit welcher Motivation und inneren Haltung ich ein Verhalten meines Hundes beantworten möchte. Bin ich jemand, der schnell frustriert ist, nehme ich alles persönlich, bin ich nachtragend, sehe ich in meinem Hund einen Diener, einen Untertan, einen Befehlsempfänger, dann bin ich jemand, der auch mal mit Zwang arbeitet, wo die sogenannte Korrektur und der Leinenruck am Halsband oder an der Moxonleine als angemessen erscheint. Auch wenn man das heutzutage als "normal" einstufen möchte, kann man davon ausgehen, dass man mit dieser Einstellung Verhaltensweisen des Hundes nicht fair begleitet und das ist alles andere als "normal".  Dies hat vielmehr etwas mit Machtgedanken des Menschen zu tun, auf niedere Lebewesen Druck ausüben zu wollen, warum auch immer. Wir sollten uns diesbezüglich schon längst weiterentwickelt haben - hoffe ich!

Ich selbst bin erst viel später auf die Vorzüge eines Geschirrs gekommen, da diese im Retrievergeschehen eher untypisch sind. Dort sind die sogenannten Moxon-/Retrieverleinen Usus, mittlerweile zum Glück mit einem Zugstop versehen, so dass die Hunde nicht gewürgt werden. Ein Halsband ist vielerorts auch nicht mehr gern gesehen mit der Meinung, dass man sich beim Autofahren den Sicherheitsgurt ja auch nicht um den Hals legt. Das leuchtet ein! Die gesundheitlichen Nachteile kann man sich denken, beim Mensch wie bei einem Hund eine Katastrophe, wenn die Einwirkung abrupt und heftig auf den Halswirbel-, Kehlkopfbereich stattfindet. 

Kommen Welpen zu mir in die Hundeschule, ist das Tragen eines Geschirrs unstrittig, da lass ich keine Luft ran. Am besten, ein sogenanntes Y-Brustgeschirr, die viel Bewegungsfreiheit im Schulterbereich aufweisen und nicht zugepackt oder gar mit einem Klettverschluss versehen sind, so dass es immer schön zwiebelt, wenn die langen Haare der Hunde sich im Klett verfangen. Die Hunde zeigen nicht selten Meideverhalten, da kann  man noch so freundlich mit dem Geschirr und Futter winken. Dem Hund tut es weh! 

Meine eigenen Hunde laufen sowohl am Halsband oder an einem Geschirr locker mit.  Sie bekommen das Laufen ohne Halsband und ohne Geschirr oder Leine beigebracht. Aber die meiste Zeit ihres Lebens verbringen sie halt mit Schnüffeln, weshalb sie sowieso entschleunigt durch die Gegend laufen. Wenn es aber darauf ankommt, dann laufen sie eng bei mir bis ich sage, dass sie etwas anderes tun können. Das empfinde ich als wertvoll und solche Sequenzen kann man durchaus freundlich mit viel Motivation aufbauen. 

Sehr oft habe ich den Fall, dass der Hundehalter zu mir kommt, weil sein Hund sehr stark zieht. Dann bitte ich darum, dass ein Wechsel von Halsband auf Geschirr erfolgt, was auch durchaus andersherum geschehen kann. Gleichzeitig schaue ich, welche Leine mit welcher Länge für den Hund optimal ist. In den meisten Fällen bleibt dann schon ein starkes Ziehen aus. Hilfsmittel wie Halti verwende ich gar nicht, da hier die Gefahr einer Verletzung durchaus erheblich sein kann, wenn der Hundehalter dies falsch anwendet. Leinenführigkeit hat etwas mit "Fleißkärtchenarbeit" zu tun. Der Hund kann zunächst überhaupt nicht verstehen, warum er nicht bis zum Ende der Leine laufen kann. Ein Pferd könnte auch nicht verstehen, warum die Koppel nicht genutzt werden darf, warum es nur bis zur Hälfte gereichen soll. Also macht es Sinn, das Training einfach so zu gestalten, dass der Hund irgendwann freiwillig an lockerer Leine neben uns läuft, und zwar freudig und motiviert und nicht mit eingezogener Rute und gesenktem Kopf.